BGH-Entscheidungen zu Vergabeverfahren von Netzkonzessionen

Unbestimmtes und Bemerkenswertes

Trotz klarstellender BGH-Urteile weiterhin Rechtsunsicherheiten in Einzelaspekten!

Durch drei richtungsweisende Urteile Ende des Jahres 2013 und im Jahr 2014 („Stromnetz Heiligenhafen“2, „Stromnetz Berkenthin“3 und „Stromnetz Homberg“4) hat der BGH in vielen Fragen zu den Wettbewerbsverfahren um die Vergabe von Wegenutzungsrechten und der Ausgestaltung von Konzessionsverträgen Klarheit geschaffen und erstmals u.a. konkret zulässige Auswahlkriterien benannt, mit deren Hilfe die Angebote der Bieter bewertet werden können5.

Dennoch verbleiben für die Kommunen als „Vergabestelle“ der Konzessionen in Einzelbereichen Unsicherheiten hinsichtlich der rechtsicheren Gestaltung des Wettbewerbsverfahrens, auf die wir nachfolgend kurz aufmerksam machen möchten. Hierbei soll der Fokus auf folgende weiterhin nicht hinreichend geklärte Punkte gelegt werden:

  • Verwendung von Netzentgelten als Auswahlkriterium
  • Berücksichtigung einer Mindestpunktzahl für das Auswahlkriterium „Versorgungssicherheit“
  • Gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten auf die zukünftige Ausgestaltung des Netzbetriebes
  • Umfang der Netzüberlassungspflicht.

Netzentgelte als Auswahlkriterium?

Nach Ansicht des BGH sollen Netzentgelte bei den Auswahlkriterien unter dem Aspekt “Preisgünstige Versorgung“ berücksichtigt werden. Aussagen oder Hinweise, wie dies in der Praxis fundiert bewerkstelligt werden kann, werden dazu nicht gegeben.

Unabhängig davon, ob die Bewerber überhaupt bereit sind, der Kommune entsprechende Auskünfte zu erteilen und ggf. einer vertraglichen Fixierung zuzustimmen, bleibt weiterhin unklar, ob und wie ein Vergleich zwischen den bisherigen Netzentgelten des Altkonzessionärs (Ist-Zustand) oder den zukünftigen Netzentgelten, die die Bewerber im betreffenden Kommunegebiet ansetzen wollen, anzustellen und zu bewerten ist.

Auch stellt der BGH ausschließlich auf „nicht rabattierte Netzentgelte“ ab. Zurzeit werde von der Monopolkommission (Sondergutachten 65/Energie 2013, S. 235, Rz. 470) und der Bundesnetzagentur gegenteilige Auffassungen zum Auswahlkriterium „rabattierte Netzentgelte“ vertreten. Laut Bundesnetzagentur sind rabattierte Netzentgelte wettbewerbsschädlich und daher nicht zulässig. Die Monopolkommission hält solche für zweckmäßig.

Ob ein Vergleich zwischen den bisherigen (nicht rabattierten) Netzentgelten der Bewerber in den unterschiedlichen Netzgebieten ausreicht, um die Preisgünstigkeit der Netzentgelte im ausgeschriebenen Netzgebiet diskriminierungsfrei zu bewerten, bleibt zweifelhaft. Auch eine Nichteinbeziehung als Kriterium kommt als Lösung nicht in Frage, da der BGH in seinem Urteil „Stromnetz Berkenthin“ (Rz. 87) dies als zentrales Kriterium für die Beurteilung einer preisgünstigen Endversorgung beim Netzbetrieb einstuft.

Mindestpunktzahl für das Kriterium Versorgungssicherheit?

Kommunalrechtlich und -wirtschaftlich sind die Kommunen gehalten, für einen möglichst sicheren und preisgünstigen Betrieb des Netzes im Kommunegebiet zu sorgen. Als Orientierungspunkt für eine angemessene Einbeziehung dieses Kriteriums in die Auswahlentscheidung der Kommune nennt der BGH in seinem Urteil „Stromnetz Berkenthin“ (Tz. 84) zwar in Anlehnung an der Musterkriterienkatalog Baden-Württemberg eine Mindestpunktzahl von 25 % der möglichen Gesamtpunktzahl, nicht jedoch ohne im nächsten Absatz auszuführen, dass

„auch wenn es sich dabei um keine verbindliche Vorgabe handelt, […] eine um mehr als den Faktor vier niedrigere Gewichtung der Netzsicherheit unzulässig [ist].“

Was genau mit der Faktor vier niedrigeren Gewichtung gemeint ist und welchen Bezugspunkt diese hat, bleibt aber offen. Eine erhebliche Abweichung nach unten würde den anerkannten Entscheidungsspielraum der Kommune ob der überragenden Bedeutung des Kriteriums der Versorgungssicherheit6 überschreiten. Im Verfahren Stromnetz Berkenthin wurde hier eine Bepunktung mit 6 % der Gesamtpunktzahl jedenfalls als deutlich zu niedrig erachtet. Grundsätzlich ist der BGH zwar der Auffassung, dass die Ziele des EnWG einer unterschiedlichen Konkretisierung, Gewichtung und Abwägung durch die Kommune zugänglich sind, keines der Ziele darf aber unberücksichtigt bleiben und ist in Bezug auf seine Bedeutung angemessen zu gewichten.

Unklar bleibt vor diesem Hintergrund, welche Einzelaspekte jeweils unter die sich zum Teil widersprechende Ziele des § 1 EnWG zu fassen sind. Insbesondere bleibt beim Ziel „Versorgungsicherheit“ offen, inwieweit der Vorwegnachweis einer entsprechenden Eignung als Ausschlusskriterium eine Absenkung der Punktzahl für die Versorgungssicherheit bei den Auswahlkriterien zulässt.

Gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten auf die zukünftige Ausgestaltung des Netzbetriebes?

Die Einflussnahmemöglichkeit der Kommune auf den örtlichen Netzbetrieb (Entscheidungen des Netzbetriebs bezüglich Effizienz, Sicherheit und Preisgünstigkeit, Modernisierung und Kapazitätserweiterung) erkennt der BGH als legitimes Bewertungskriterium an. Soweit die Kommune diese Einflussmöglichkeiten für unverzichtbar erachtet, sind diese in die Leistungsbeschreibung einzubeziehen und damit für eine Auswahlentscheidung untauglich, da jedes Kriterium nur einmal bewertet werden darf.

Werden aber darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten der Einflussnahme positiv bewertet, sieht der BGH das als unbedenklich an, insoweit diese Einflussmöglichkeiten auf vertragsrechtlicher Grundlage beruhen - m.a.W.: In den Konzessionsvertrag Eingang finden. Gemeint sind hier insbesondere Mitsprache- und Abstimmungsrechte der Kommune bei Baumaßnahmen.

Ein Wertungskriterium, welches den “gesellschaftsrechtlichen Einfluss“ der Gemeinde gesondert bewertet, hält das Gericht grundsätzlich für die Bewerber diskriminierend, die die Aufgabe des Netzbetriebes eigenverantwortlich übernehmen wollen, da es Unternehmen bevorteilt, an denen sich die Kommune beteiligt bzw. bereits beteiligt ist. Auf das Kriterium der (gesellschaftsrechtlichen) Einflussnahmemöglichkeit der Kommune ist daher vor allem immer dann genau zu achten und auf eine strikte Trennung in den Auswahlkriterien zu achten, wenn das Wettbewerbsverfahren auch als Angebot die Gründung einer gemeinsamen Netzgesellschaft vorsieht (sei es als Haupt- oder Nebenangebot). Gesellschaftsrechtliche Einflussnahmemöglichkeiten dürfen nur hinsichtlich der Bewertung des „Beteiligungsangebots“ Berücksichtigung finden, keinesfalls aber bei der Bewertung der Angebote für die Netzkonzession.

Diese generelle Aussage zu gesellschaftsrechtlichem Einfluss schränkt der BGH durch nachfolgende Formulierungen auch wieder ein:

“Dies wird allenfalls dann hingenommen werden können, wenn dem legitimen Interesse, die Konkretisierung der energiewirtschaftsrechtlichen Ziele des Netzbetriebs über die Laufzeit des Konzessionsvertrages nachzuhalten, nicht in anderer Weise – etwa durch Regelungen des Vertragsrechts – angemessen Rechnung getragen werden kann. Soweit dies danach in Betracht kommen sollte, müssten jedenfalls die mit einer Beteiligung am Netzbetrieb verbundenen Gegenleistungen (insbesondere der Anteilskaufpreis) und Risiken der Gemeinde bei der Bewertung ebenfalls angemessen berücksichtigt werden.“ (Vgl. „Stromnetz Berkenthin“, Tz. 53).

Was der BGH mit dieser rätselhaften Formulierung meint, wird nicht weiter ausgeführt. Bei Beteiligung des eigenen Stadtwerkes im Auswahlverfahren sollten unseres Erachtens die Vorteile einer gesellschaftsrechtlichen Einflussnahme, die nicht vertraglich abgebildet werden können, exakt herausgearbeitet sowie die Risiken einer Beteiligung in die Bewertung einbezogen werden. Bei erkennbarer Klagebereitschaft von Interessenten sollte eine mögliche gesellschaftsrechtliche Einflussnahme über ein eigenes Stadtwerk nicht in die Bewertung einbezogen werden.

Umfang der Netzüberlassungspflicht?

In seinem Beschluss „Stromnetz Homberg“ hat der BGH erstmals zum Umfang der Netzüberlassungspflicht nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG im Hinblick auf multifunktionale Verteilungsanlagen Stellung genommen. Danach

“gehören zum Netz der allgemeinen Versorgung alle Anlagen, die für die Versorgung aller vorhandenen Netznutzer im Konzessionsgebiet notwendig sind. Dazu gehören auch Mittelspannungsleitungen jedenfalls dann, wenn daran Letztverbraucher unmittelbar angeschlossen sind, ohne dass es eine Rolle spielt, ob die Leitung von einem vorgelagerten Netzbetreiber auch für andere Zwecke genutzt werden. Eine Beschränkung des Überlassungsanspruchs aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF auf die Niederspannungsebene – wie dies etwa in § 18 EnWG geregelt ist – oder auf nur ausschließlich für die allgemeine Versorgung von Netzverbrauchern genutzten Leitungen einer höheren Spannungsebene kann daraus nicht hergeleitet werden.“ (Vgl. „Stromnetz Homberg“, Tz. 36)

Diese Aussage suggeriert zunächst, dass das Problem der Übertragung multifunktionaler Verteilungsanlagen damit gelöst sei.

Dieser Eindruck täuscht aber, denn: Multifunktionale Verteilungsanlagen sind regelmäßig entstanden, weil ein Energieversorger in der Vergangenheit mehrere Gemeindegebiete gemeinsam versorgt hat. Diese überörtliche Verteilung ist damit Ausdruck einer technisch und ökonomisch sinnvollen Effizienzsteigerung durch den Altkonzessionär. Eine gemischt genutzte Verteilungsanlage ist somit für mehrere Konzessionsgebiete und deren Netzbetriebe “notwendig“. Der Begriff “notwendig“ löst das Zuordnungsproblem “Multifunktionale Anlagen“ nicht. Im Zweifel dient es einer effizienten und damit preiswerten Versorgung, wenn – wie in der Literatur diskutiert - die Übertragungspflicht auf das Maß der Nutzung für die örtliche Verteilung abgestellt wird. Dies verhindert möglicherweise den Aufbau von Parallelstrukturen, um lukrative Endverbraucher über ein separates Netz nach Übertragung weiter bedienen zu können, was zumindest aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu unnötigen Mehrkosten führen würde. Auch könnten die jetzt tätigen Netzbetreiber die vom BGH vorgeschlagene Handhabung konterkarieren, in dem sie diese notwendigen Anlagen außerhalb der Gemeindegrenzen bzw. des Konzessionsvertrages “in Sicherheit bringen“.

Bemerkenswertes!

Insgesamt haben die BGH-Entscheidungen mehr Rechtssicherheit für die praktische Durchführung der Vergabeverfahren gebracht. Halten sich die Kommunen bei ihren Wertungskriterien im Bereich des “Üblichen“ sollten die Verfahren zukünftig rechtssicher durchführbar sein. Gerne sind wir bereit, Ihnen bei der Gestaltung eines rechtssicheren Verfahren behilflich zu sein. Sprechen Sie uns einfach an.

Erfreulich ist, dass laut BGH Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot zwar grundsätzlich die Nichtigkeit des Vertrages bedingen sollen, aber ohne Folge bleibt7, soweit sich der Verstoß nicht konkret auf das (Auswahl-)Ergebnis des Vergabeverfahrens auswirkt Auch ist die Aussage des BGH positiv hervorzuheben, dass bei ausreichender Unterrichtung der unterlegenen Bewerber über die Entscheidungsgründe für die Auswahl des Obsiegenden Bewerbers, spätere Einwendungen regelmäßig nicht mehr geltend gemacht werden können8.

Abschließend sei von unserer Seite noch der Hinweis gestattet, dass für den Fall nur eines Bewerbers/Interessenten die Regelungen des § 46 EnWG nicht zur Anwendung kommen und hier nur ein nach Maßgabe der Konzessionsabgabenverordnung zulässiger Vertrag ausgehandelt werden muss.

Düsseldorf, im Januar 2015

Horst Hartung
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater

Horst Hartung

Geschäftsführer, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater

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